Das Yin und das Yang beim Segeln
Yin und Yang kommen aus der chinesischen Philosophie. Hierbei sind zwei gegensätzliche Kräfte gemeint, die sich im ständigen Wandel immer wieder ergänzen. Sie sind untrennbar und existieren nur zusammen, in einer Wechselwirkung. Das Taijitu-Symbol mit den zwei Punkten kennt jeder. Die Punkte stehen dafür, dass sich im Yin ebenso ein bisschen Yang befindet und umgekehrt. Yin ist schwarz und spiegelt die Schattenseite, die Dunkelheit, Kälte, Passivität, Ruhe, Erde, den Mond und die Weiblichkeit wider. Yang dagegen ist die Sonnenseite, die Helligkeit, Wärme, Aktivität, Bewegung, der Himmel, die Sonne und die Männlichkeit. In der Philosophie von Yin und Yang gibt es mehrere Kernprinzipien, die einen beim Hochseesegeln unterstützen. Dies möchte ich im Folgenden beschreiben:
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| Yin und Yang auf Bora Bora |
Die Dualität und Einheit im Hochseesegeln
Das Prinzip der Dualität und Einheit, die Inspiration von philosophischen Konzepten wie Yin und Yang oder der spirituellen Idee, dass scheinbare Gegensätze letztlich eine höhere Harmonie bilden, findet im Hochseesegeln eine besonders lebendige und praktische Anwendung. Auf hoher See, fernab von Land und in direkter Konfrontation mit den Elementen, wurde dieses Prinzip zum überlebenswichtigen Leitfaden für uns. Die scheinbaren Gegensätze der Natur und des Hochseesegeln ist geprägt von polarisierenden Kräften, die auf den ersten Blick unvereinbar wirken.
Da wären zunächst der Wind und das Meer. Der Wind treibt das Boot voran (Yang: aktiv, bewegt, schöpferisch), während das Meer Widerstand leistet, Wellen erzeugt und Stabilität fordert (Yin: empfänglich, ruhig, nachgiebig). Sturm und Flaute, Kraft und Stille sind Dualitäten, die Leben bedrohen oder es ermöglichen können. Als Nächstes sind da der Mensch und das Boot. Beim Segeln müssen wir aktiv handeln (Trimmen der Segel, Steuern, Navigieren), doch gleichzeitig loslassen und dem Boot vertrauen (uns dem Rhythmus der Wellen anpassen, nicht gegen den Wind kämpfen). Daraus resultiert die nächste Dualität, nämlich die Kontrollierbarkeit und Unkontrollierbarkeit. Technik und Planung stehen der unvorhersehbaren Macht des Ozeans gegenüber. Sicherheit versus Gefahr, Fortschritt versus Stillstand. Und nicht zuletzt die innere Dualität. Euphorie in der Weite des Meeres kontrastiert mit Angst und Einsamkeit in der Nacht oder bei schwerem Wetter.
Diese Gegensätze erzeugen Spannung. Der Wind drückt seitlich, der Kiel widersteht der Abdrift (was bei unserem Katamaran nur mäßig funktioniert) – physikalisch entsteht daraus Vortrieb (was bei der Katinka Enjoy wieder ganz gut funktioniert). Ohne diese Dualität gäbe es keine Bewegung.
Die Harmonie, also die Einheit, jenseits der Dualität, ist das wahre Kernprinzip und liegt in der Vereinigung dieser Pole zu einer höheren Ganzheit. Der erfahrene Hochseesegler strebt nicht danach, einen Pol zu besiegen, sondern sie in Balance zu bringen. Der Fluss mit der Natur. Statt gegen den Wind zu kämpfen (was unmöglich ist), kreuzt man ihn aus, nutzt seine Kraft und wird eins mit ihm. Das Boot gleitet nicht trotz, sondern durch die Wellen – wir werden Teil des Systems aus Wind, Wasser und Schiff.
Um ein inneres Gleichgewicht herzustellen, löst sich in der Einheit die Trennung auf. Wir fühlen uns nicht mehr getrennt vom Ozean, sondern verbunden. Wie eine Welle, die sich als individuell wahrnimmt, aber letztlich der Ozean selbst ist, erkennen wir die Illusion der Dualität. Angst weicht Akzeptanz, Kontrolle weicht Vertrauen.
Erfolgreiches Hochseesegeln erfordert das taoistische Wu Wei – Handeln ohne Zwang. Der Segler trimmt die Segel präzise, passt sich aber dem Wind an, statt ihn zu bezwingen. In diesem Zustand entstehen maximale Geschwindigkeit und Sicherheit: Die Dualitäten (Aktivität und Passivität) verschmelzen zu einer effizienten Einheit.
Auf hoher See wird dieses Prinzip existenziell. Wer in der Dualität steckenbleibt (z. B. panisch gegen den Sturm ankämpft), riskiert das Scheitern. Wer die Einheit erfährt – in Harmonie mit den Elementen segelt –, erlebt Freiheit, Flow und tiefe Verbundenheit. Hochseesegeln ist somit nicht nur Sport, sondern eine lebendige Meditation über die Illusion der Trennung und die Rückkehr zur Ganzheit. Es lehrt: Alles strömt aus der Einheit, durch Dualität hindurch, und letztlich zurück zur Einheit.
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| Yin und Yang auf Naukacuvu, Fidschi |
Die gegenseitige Abhängigkeit
Das Kernprinzip der gegenseitigen Abhängigkeit (auch Interdependenz) im Yin-Yang-Denken besagt, dass Yin und Yang keine isolierten, gegensätzlichen Kräfte sind, sondern einander bedingen, erzeugen und voneinander abhängig sind. Ohne Yin gäbe es kein Yang und umgekehrt. Sie sind komplementär, durchdringen sich gegenseitig und wandeln sich ineinander um. Dieses Prinzip findet im Hochseesegeln eine besonders lebendige und praktische Anwendung, wo wir ständig mit dynamischen, scheinbar gegensätzlichen Kräften konfrontiert sind, die nur im Zusammenspiel funktionieren.
Wind und Segel (Yang und Yin)
Der Wind (Yang: aktiv, bewegt, treibend, unsichtbar) wirkt nur durch das Segel (Yin: passiv, empfangend, formgebend, sichtbar). Ohne Segel bleibt der Wind wirkungslos für die Fortbewegung; ohne Wind bleibt das Segel schlaff und nutzlos. Die Vorwärtsbewegung des Bootes entsteht ausschließlich aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit. Das Segel formt und lenkt den Wind, der Wind füllt und spannt das Segel. Beide sind aufeinander angewiesen, um Geschwindigkeit und Richtung zu erzeugen.
Kiel und Segel (Stabilität und Antrieb)
Das Segel (Yang: aufwärts und seitwärts drückend) erzeugt die Kraft, die ins Boot eingeleitet wird. Der Kiel (Yin: abwärts und stabilisierend) erzeugt durch seine Tiefe und Form den Widerstand im Wasser, der die Kraft in Vorwärtsbewegung umwandelt. Ohne Kiel würde das Boot seitlich abdriften oder kentern; ohne Segel hätte der Kiel keine Aufgabe. Die Stabilität (Yin) und der Antrieb (Yang) sind vollständig voneinander abhängig – der eine erzeugt die Notwendigkeit des anderen.
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| Yin und Yang in Vatia, Fidschi |
Crew und Boot (Mensch und Materie)
Die Crew (Yang: aktiv, entscheidend, anpassend) kann nur segeln, weil das Boot (Yin: passiv, tragend, strukturiert) existiert. Das Boot wiederum bewegt sich nur vorwärts, weil die Crew trimmt, steuert und reagiert. Auf hoher See verstärkt sich diese Abhängigkeit: Das Boot schützt die Crew vor den Elementen, die Crew erhält und navigiert das Boot. Beide sind existenziell aufeinander angewiesen.
Welle und Rumpf (Bewegung und Form)
Die Welle (Yang: dynamisch, zerstörerisch und aufbauend) wirkt auf den Rumpf (Yin: formgebend, widerstehend). Der Rumpf nutzt die Energie der Welle, um das Boot voranzutreiben (Surfen auf der Welle) oder stabil zu halten. Ohne Wellen wäre das Meer träge; ohne den widerständigen Rumpf würde die Welle das Boot überwältigen. Die gegenseitige Durchdringung zeigt sich, wenn das Boot die Welle „reitet“ – die Welle gibt Energie, der Rumpf gibt Form und Richtung.
Tag und Nacht, Wetter und Ruhe
Der aktive Segeltag (Yang: Navigation, Trimmen, Wachsein) ist nur möglich durch die regenerative Nacht (Yin: Schlaf, Erholung, Stille). Langes Hochseesegeln lehrt, dass übermäßiges Yang (ständiges Handeln) zur Erschöpfung führt und Yin (Ruhe) benötigt wird, um weiter Yang entfalten zu können. Umgekehrt ermöglicht ausgeruhte Yin-Phase wieder intensives Yang. Letzteres verschwimmt bei uns immer ein wenig, vor allem wenn man, wie wir, als kleine Crew unterwegs ist. So hat mir im letzten Jahr doch oft mein Yin gefehlt und das Yang hat zeitweise überhandgenommen. Letztendlich habe ich die Diskrepanz am Tage dann wieder ausgeglichen. Wir verstehen die gegenseitige Abhängigkeit von Yin und Yang beim Hochseesegeln nicht nur theoretisch, sondern haben sie physisch und emotional erlebt. Man entwickelt ein intuitives Gespür dafür, dass keine Kraft allein herrscht: Jede scheinbare Gegensätzlichkeit (Antrieb/Stabilität, Aktivität/Passivität, Wind/Widerstand) ist nur durch die Existenz und das Zusammenwirken ihres Gegenpols möglich. Das Boot gleitet voran, weil es diese Interdependenz perfekt ausbalanciert. Ein lebendiges Beispiel für das taoistische Prinzip, dass wahre Harmonie und Effizienz nur aus der tiefen Abhängigkeit der Gegensätze entstehen. Übrigens, wie der aufmerksame Leser gemerkt haben wird: Yin und Yang sind nicht immer unbedingt identisch. So ist z. B. das Segel im Bezug auf den Wind betrachtet das Yin und im Bezug auf den Kiel das Yang. Was uns zu einem weiteren Kernprinzip bringt:
| Yin und Yang in der Musket Cove |
Das Dynamische Gleichgewicht
Das Prinzip von Yin und Yang aus der taoistischen Philosophie beschreibt zwei gegensätzliche, doch komplementäre Kräfte, die in einem ständigen, dynamischen Gleichgewicht miteinander stehen. Yin steht für das Passive, Empfangende, Ruhige, Kühle und Nachgiebige (z. B. Dunkelheit, Wasser, Ruhe), während Yang das Aktive, Treibende, Dynamische, Warme und Kraftvolle symbolisiert (z. B. Licht, Wind, Bewegung). Wichtig ist: Es handelt sich nicht um starre Gegensätze, sondern um einen fließenden Tanz. Das Überwiegen einer Kraft führt zur Transformation in die andere, und nur im ausgewogenen Wechselspiel entstehen Harmonie und Fortbestand. Auf offener See, fernab geschützter Gewässer, verkörpert sich dieses Prinzip auf faszinierende Weise in der Interaktion zwischen Boot, Segler, Wind und Ozean. Yang als treibende Kraft: Der Wind (Yang) ist die aktive, dynamische Energie, die das Segel füllt, Vortrieb erzeugt und das Boot vorantreibt. Starke Winde, Wellen und Stürme repräsentieren reines Yang, kraftvoll, expansiv und ungezähmt. Wir müssen hier aktiv handeln. Segel trimmen, Ruder korrigieren, Manöver ausführen. Das Meer (Yin) als ausgleichende Kraft ist empfangend, tief, ruhig oder wellend (auch nicht immer), es trägt das Boot, bietet Widerstand durch den Kiel und ermöglicht Stabilität. In ruhigen Phasen dominiert Yin: Das Boot gleitet harmonisch, wir können beobachten, atmen und uns dem Fluss hingeben. Die Phasen des harmonischen Gleitens kamen bei uns dieses Jahr definitiv zu kurz. In meinem Jahresrückblick, den Ihr nicht verpassen solltet, werde ich darauf eingehen.
Das dynamische Gleichgewicht entsteht durch ständige Anpassung: Zu viel Yang (z. B. Sturm) erfordert Yin-Qualitäten wie Nachgiebigkeit, Reffen der Segel, Beidrehen oder Abwarten. Zu viel Yin (Flaute) braucht Yang-Impulse, etwa durch Motor oder geduldige Nutzung schwacher Winde. Nach sechs Jahren auf See praktizieren wir mittlerweile intuitiv Wu Wei (handelndes Nichthandeln). Wir kämpfen nicht gegen die Elemente, sondern fließen mit ihnen, balancieren Kräfte aus und nutzen den Wind, ohne ihn zu bezwingen. Wenn uns auch manchmal viel Geduld abverlangt wird. In meinem Buch „4000 Meilen bis ins Paradies“ beschreibe ich solche Phasen. In der Weite des Ozeans wird Yin und Yang erlebbar – Sturm und Stille wechseln, Tag und Nacht, Anspannung und Entspannung. Diese Balance schafft nicht nur sichere Passage, sondern tiefe Harmonie mit der Natur, eine meditative Erfahrung von Einheit. So wird das, was wir tun, zur lebendigen Metapher für das taoistische Ideal: Im dynamischen Gleichgewicht von Yin und Yang entstehen wahre Freiheit und Fortschritt.
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| Yin und Yang auf Moorea |
Als Letztes möchte ich noch auf das Kernprinzip
Der Keim des Gegenteils eingehen
Ein zentrales Prinzip ist der Keim des Gegenteils. In jedem Extrem ist bereits der Samen seines Gegenteils angelegt. Der kleine schwarze Punkt im weißen Yang-Bereich und der weiße Punkt im schwarzen Yin-Bereich symbolisieren dies. Nichts ist absolut rein, und wenn eine Kraft ihren Höhepunkt erreicht, kehrt sie sich um und wandelt sich in ihr Gegenteil. Dieses Prinzip beschreibt den natürlichen Zyklus des Wandels. Extreme führen zur Umkehrung, und Harmonie entsteht durch Ausgeglichenheit, nicht durch Starrheit. Auf dem Meer, fernab der Küste, wo wir den Launen des Ozeans ausgeliefert sind, offenbart sich dieses Prinzip auf eindrucksvolle Weise. Der Wechsel von Sturm und Flaute. Ein tobender Sturm (Yang: wild, aktiv, zerstörerisch) trägt in seinem Höhepunkt bereits den Keim der Ruhe. Wenn der Wind sein Maximum erreicht, lässt er oft nach, und es folgt eine tiefe Stille (Yin: passiv, still). Umgekehrt birgt absolute Windstille den Samen des aufkommenden Winds, die Flaute endet plötzlich und ein neuer Sturm kann entstehen. Wir haben gelernt, dass in der größten Erschöpfung durch den Sturm bereits die Erholung in der folgenden Ruhe aufkeimt. Anstrengung und Erholung, langer Kampf gegen hohe Wellen und Starkwind (Yang: aktives Handeln, Reffen der Segel, Steuern) führt zur Erschöpfung, in der wir loslassen müssen (Yin: Passivität, Treibenlassen, Schlafen unter Autopilot). Doch genau in dieser Passivität keimt neue Kraft, die Erholung ermöglicht den nächsten aktiven Abschnitt. Ein wichtiger Punkt ist die emotionale und mentale Ebene. Die Euphorie eines perfekten Segeltags unter vollen Segeln (Yang) birgt den Keim zur Nachlässigkeit oder zum Übermut, der zu Fehlern führen kann. Umgekehrt lehrt die Angst im Sturm (Yin: Hilflosigkeit) Demut und Vorbereitung, die zu einer Weiterentwicklung (Yang) führt.
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| Yin und Yang in Paihia, Neuseeland |





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