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Wunder der Technik

Nachdem ich mich aus der ökonomischen Sitzhaltung, in der ich für fast zwei Tage während des Fluges nach Europa verharren musste, wieder befreit habe, kommt die Phase der Akklimatisierung. Was soll ich sagen? Sie dauert an. Trotz heißestem April aller Zeiten in Deutschland. Trotz des Klimawandels ist es in Deutschland saukalt. Seit Tagen erzählt man mir: „In den nächsten Tagen wird es wärmer.“ Allein, plus 3°C auf 12°C drauf, macht den Kohl auch nicht fett. Kurzum friere ich wie ein Schneider. Für mein Umfeld sind die Temperaturen angenehm, was für mich die Erkenntnis bringt, dass wir Menschen durchaus in der Lage sind, uns den klimatischen Bedingungen anzupassen; es dauert halt ein bisschen. Darum können wir der Klimakrise doch eher gelassen entgegensehen und müssen uns nicht von den vielen Panikmachern verrückt machen lassen. Ich zumindest ersehne die 29°C, die in Papeete Standard sind. Akklimatisierungsphase Während ich versuche, mich den deutschen Verhältnissen wieder anzupassen, s

Sterben Economy-Flüge im Computerzeitalter aus?

Der Film, den ich ausgewählt habe, unterhält mich nur mäßig. Die Nebengeräusche sind trotz voller Lautstärke der Kopfhörer enorm, sodass ich bei längeren Dialogen, bei denen in normaler Sprachintensität gesprochen wird, nicht alles verstehe. Ich habe das Gefühl, dass durch die Kopfhörer das Fluggeräusch, ein monotones Rauschen, noch verstärkt wird. Das Display zeigt mir eine Flughöhe von fast 12000 Metern und eine Geschwindigkeit von über 900 Kilometern pro Stunde an. Am oberen Rand des Bildschirmes bewegt sich ein kleines Flugzeug und färbt den weißen Balken hinter sich blau ein. Eine Zeitangabe gibt die geflogene und die noch zurückzulegende Zeit an. Ja, die technischen Spielereien haben sich seit dem Computerzeitalter gewaltig verändert. 

Abflug Tahiti

Ich falle in eine Art Tagtraum. Ihr kennt das. Man kann nicht schlafen, weil die Umgebung einen wach hält, obwohl man eigentlich hundemüde ist. In der „Schweineklasse“ – zivilisiertere Leute als ich sagen auch Holzklasse (auf Neudeutsch: Economy) dazu – hören die Sitze kurz hinter den Gesäßbacken auf. Die Sitzreihen sind so eng, dass ein normal gewachsener Mensch mit den Knien am Vordersitz ansteht. Und dann dieses Rauschen, laut, monoton und unaufhörlich. Mir kommt der Gedanke von der Teufelsinsel vor Französisch-Guyana, auf der die Häftlinge unmenschlich gefoltert wurden. Freilich, die Zeiten haben sich geändert und folglich auch die Foltermethoden, aber der Mensch war schon immer sehr perfide – in meinem Fall ist es die Air France - sich Methoden auszudenken, jemanden zu peinigen. Auch nicht neu ist es, dass man dafür bezahlt. Man versucht mich, mit einem Service an Bord zu bestechen. Die Crew gibt sich alle Mühe. Trotzdem frage ich mich, ob das mit zu den Foltermethoden gehört. Sozusagen, verendet er nicht durch die Umgebungsbedingungen, die wir geschaffen haben, schaffen wir es mit dem Essen oder, wie man es in der Pandemie auszudrücken pflegte: Mit oder ohne Flugbegleiter gestorben. Ja, im Computerzeitalter werden Abläufe auf ein Optimum getrimmt, um den größtmöglichen Gewinn aus einem Marktpreis zu erzielen. Economy eben! Ich beruhige mich wieder ein bisschen und denke mir: Wenn das hundert andere Leute schaffen, dann schaffst du das auch. Noch fünf Stunden bis LA. Ja, auch so eine Entwicklung: Man sagt nicht mehr Los Angeles, man sagt LA, weil im Computerzeitalter alles schneller geht, man mit seinem Umfeld ungeduldiger ist und weil auch jeder weiß, was mit LA gemeint ist. So What! Oder, wie erst neulich von einem Bundeswehrgeneral zu hören war: „All in“. Economy eben! Du bekommst das für das, was du bezahlt hast, also hör auf zu jammern. Ich jammere ja gar nicht. Im Gegenteil, ich bin froh, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, Leute für den Preis halb um die Welt zu fliegen und nicht im Gepäckraum unterzubringen. Denn eines ist auch klar: Der günstige Preis kommt nur ohne Gepäck zustande. Für deine Taschen und Koffer, die im Gepäckraum mitfliegen, zahlt man nur unwesentlich weniger als für einen selbst. Economy eben! Mittlerweile zeigen die Foltermethoden der Air France allerdings Wirkung. Der Economy-Flieger ist am Aussterben. Immer mehr Menschen leisten sich die Businessclass. Man leistet einen, ich nenne es einmal Ablass, und erspart sich die Folter der Economy. In abgeschlossenen Bereichen versucht man dem Fluggast möglichst viel Privatsphäre zu schaffen. Kleine Zellen, nach oben offen, mit Sitzen, die sich ganz einfach zu einer Liegefläche umbauen lassen. Sie erinnern an die rußgeschwärzten Zellen der Ile Royal vor Französisch-Guyana. Natürlich deutlich komfortabler sitzt oder liegt der Gast für sich selbst, abgekapselt von all den anderen Fluggästen. Im heutigen Computerzeitalter durchaus gewollt, da zwischen den Menschen sowieso kein Dialog mehr stattfindet. Wie auch, wenn man mit Ohrstöpseln oder Kopfhörern durchs Leben wandelt und sein Gegenüber sowieso nicht mehr versteht, geschweige bewusst wahrnimmt. Freilich, das Flugrauschen kann man auch in der Businessclass nicht wegzaubern und irgendwie muss man sich ja schützen: Warum sollte man das nicht wenigstens in einer bequemen Körperhaltung tun? Der zusätzliche Platzbedarf für diesen Service hat natürlich seinen Preis und schlägt mit dem 2,5-Fachen des Economy-Preises zu buche. 

Warten auf den nächsten Flug

Das Konzept geht auf. Die Flächenbelegung der Businessclass in einem Flugzeug wird gegenüber früher immer größer. Die Economy weicht immer weiter zurück und belegt zumindest auf Langstreckenflügen nur noch das hintere Drittel des Flugzeuges. Um die Leute an diese höhere Preisklasse heranzuführen, hat sich die Air France die Prime Economy-Class ausgedacht. Eine Klasse, die den Komfort der Business bietet und den Service der Economy. Also wenn du dir den Ablass nicht vollständig leisten kannst oder willst, zahlst du einfach das Doppelte und wirst aus der engen, zum Sitzen zwingenden Körperhaltung befreit und kannst dich ausgestreckt und bequem mit 900 Stundenkilometer über den Erdball transportieren lassen. Doch auch der Businessgast muss in LA aussteigen und über die Immigration der US-Behörden durch den Bodycheck wieder zurück ins Flugzeug, um dann über einen weiteren Zehn-Stunden-Flug nach Paris zu gelangen. Mein Nachbar fliegt weiter nach Johannesburg und ich bin froh, dass ich nur noch eine Flugstunde von Stuttgart entfernt bin, was ich nach insgesamt 32 Stunden erreiche. Mit dem sogenannten Lumpensammler, die letzte Maschine am Tag, von Paris nach Stuttgart. Dabei ist der Name überhaupt nicht gerechtfertigt. Die Sitzreihen in der Economy stehen weit auseinander, die Sitzfläche ist größer und bequemer und der Service ist auf diesem Flug einwandfrei. Es gibt also Unterschiede zwischen Economy auf Langstrecken und Economy auf Kurzstrecken. Trotzdem bleibt die Frage: Sterben Economy-Flüge im Zeitalter des Computers aus? Manchmal wünsche ich mir die Zeiten vor dem Computerzeitalter zurück. In diesem Sinne: Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel und haltet die Ohren steif.

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