Etwas verwirrt, aber überwiegend erstaunt, schaue ich auf den großen Tropfen, der von etwa dreißig Zentimetern Höhe vor mir auf die Tischplatte aufschlägt. Kreisrund hat er sich auf derselben verteilt. Am Rand stehen kleine Zacken ab, so wie bei den Fraktalen des Apfelmännchens von Benoît Mandelbrot aus den 1980er Jahren. Mandelbrot hat das mathematische Chaos das erste Mal auf einem Computer sichtbar gemacht. Zu meinen damaligen Anfängen in der Computertechnik war ich begeistert von dieser Formel, in der ich die Ordnung im Chaos fand. Ein weiterer Tropfen gesellt sich zum Ersten und zerrt mich zurück in die Gegenwart.
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Apfelmännchen |
Erstaunlich, wie viel Flüssigkeit sich in einer Stirnhöhle verbergen kann. Beim Menschen hat die Stirnhöhle (Sinus frontalis) ein Volumen von sechs bis sieben Millilitern. Ich bin mir fast sicher, dass eine Computertomografie bei mir eine deutlich größere feststellen würde. Aber auch die Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales), die Siebbeinzellen (Sinus ethmoidalis) und nicht zuletzt die Nasenhöhle selbst (Cavitas nasi) sind betroffen und so kommt da schon eine ganze Menge zusammen. Das Druckgefühl, welches den Schmerz im Bereich der Stirn, der Augen und des Kiefers hervorruft, zeigt, dass um den Hohlraum herum bei mir durchaus auch noch mit Erhaltenswertem zu rechnen sein muss. Der Schleim ist so flüssig, dass er eher Wasser gleicht. Leider ist das egal, da sich trotzdem ein enormer Druck aufbaut, sodass ich befürchte, in unserer niedrigen Katinka mit nur 1,90 Meter Stehhöhe die Decke zu versauen. Was aber auch egal wäre, da ich die Sauerei ja nicht mehr sehen würde.
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Zn+1 = Zn² + C |
Apropos Sauerei: Gaby meint, ich soll die vom Tisch wieder wegmachen. Also nehme ich mir ein Taschentuch und wische die zwei Tropfen weg und sprühe gleich noch ein bisschen Desinfektion hinterher, um die Krankenhausatmosphäre, zumindest beim gesunden Teil der Crew, zu verstärken. Damit es nicht ständig aus meinen Körperöffnungen tropft, stecke ich mir zwei Papiertücher in die Nasenlöcher. Dies gibt mir die Möglichkeit, weiter über meinen Zustand nachzudenken und nicht ständig damit beschäftigt zu sein, die Nase zu putzen. Was ich als medizinischer Laie nicht verstehe, ist, warum auch immer gleich die Schädelhöhle (Cavitas cranii) mitbetroffen sein muss. Selbst Paracetamol hilft da leider nur bedingt, und so frage ich mich, warum es so einen Mist überhaupt gibt. Ich stamme ja noch aus der Generation, die zu so etwas einfach Schnupfen gesagt hat. Gaby meint, das ist mal wieder eine Männergrippe, und der Mediziner bezeichnet es schlichtweg als Sinusitis. Doch heute sagt man da wohl eher Corona dazu. Artig separiere ich mich dann auch und bleibe erst mal dem Social Life der Boatpeople fern. Das trifft mich dann doch ziemlich hart, weil ich doch eher der gesellige Typ bin. Außerdem weiß ich auch nicht mehr, wie lange ich es noch mache, weil ich in der Zeitung gelesen habe, dass das Hirn bei jeder Coronainfektion um 20 Jahre altert. Demnach müsste ich jetzt schon 102 Jahre alt sein, was mich auf die Idee gebracht hat, einen Eilantrag zur deutschen Rente zustellen. Als Beweis habe ich die von den Coronatests aufbewahrten Wattestäbchen mit Hirnsubstrat und eine Kopie des Zeitungsartikels meinem Antrag beigelegt. Blöd ist nur, dass dieser Coronatest nur bei den Pandemieanerkennern akzeptiert wird. Ich befürchte, dass die Deutsche Rentenversicherung mit Coronaleugnern durchsetzt ist, was meinem Eilantrag entgegenwirken würde. Auf der anderen Seite möchte ich mich, gerade jetzt, auch nicht mit solchen Nebensächlichkeiten beschäftigen. Ich tausche also mal wieder die Nasentücher, die mittlerweile wieder triefen, und schiebe noch ein Paracetamol nach. Schönen Gruß an die Nieren und den Verdauungstrakt. Aber auch das ist jetzt eher unwichtig. Wichtig ist viel Trinken, damit das alles so flüssig bleibt und rauslaufen kann. Obwohl meine Nase schon so aussieht wie die von Rudolf dem Rentier, putze ich sie tapfer weiter. Nach drei Tagen lässt der Druck im Schädel nach und ich bekomme nicht jedes Mal einen Schweißausbruch, wenn ich mich bewege. Essen wird geschmacklich gesehen für mich noch überbewertet und über den Tag braucht es noch ein paar Ruhephasen, aber ich bin auf dem Weg der Besserung.
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Das Chaos blüht |
Man kann es sehen, wie man will, aber die Natur kennt keine Gnade. So macht sie gerade aus Gaby einen Mann. Man könnte jetzt behaupten, Männergrippen gibt es nur bei Männern, aber wer weiß heute noch, wer Mann oder Frau ist? Und was bekommen die, die weder noch sind? Wenn diese Pandemie etwas Positives zurückgelassen hat, ist es der Begriff „Corona“. Daran kann auch Gaby erkranken. Und wenn es dann doch eine Männergrippe ist, muss ich wohl zukünftig mit einem Gabriel zusammen leben. Wobei wir wieder bei der brillanten Chaostheorie von Mandelbrot sind, mit seinen Apfelmännchen und Frauen und einem Tropfen auf einer Tischplatte.
Allen Lesern bleibt gesund und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Haltet die Ohren steif.
Brutal was in Deinen Gehirnwindungen - und es scheinen ja doch noch zahlreich vorhanden - so alles tut😃 jetzt weiß ich warum ich mich so alt fühle, bin ja nach Corona ja dann schon 82 - ohje ich will das nicht😮💨 gute Besserung Euch Beide auch für die Gesundheit 😃😃😘😘❤️
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